November 2021 - Recherchen: Drei Neuerscheinungen im November
Fluchtursachen und –folgen, der Vormarsch Künstlicher Intelligenz, „meToo“ und Gewalt gegen Frauen - drei komplexe Themenfelder, die schon seit Jahren im Focus der Öffentlichkeit stehen und in Literatur, Film und im Theater künstlerisch bearbeitet werden.
Dazu möchten wir Ihnen heute drei neue Stücke vorstellen, wahrlich keine leichten Stoffe, aber ohne großen technischen Aufwand auch von kleineren Theatern oder ambitionierten, erfahrenen Amateurbühnen zu realisieren.
Das Theaterstück „72 Stunden. Eine Anklage“ von Barbara Plagg entstand aufgrund eigener Erlebnisse, die von der Autorin formal im Stil einer kriminalistischen Recherche bearbeitet wurden.
Barbara Plagg, hauptberuflich als Wissenschaftlerin an der FU Bozen am Institut für Allgemeinmedizin tätig, greift in Ihrem Stück die Tatsache auf, dass alle 72 Stunden ein Mord an einer Frau verübt wird, begangen durch Abgewiesene, verlassene Partner oder Stalker.
„72 Stunden …“ geht der Frage nach, weshalb diese Morde im gesellschaftlichen Bewusstsein noch immer nicht als das wahrgenommen werden, was sie sind: systematische Femizide.
Ein wie aus dem Nichts auftauchender „Inspektor“, spricht mit den letzten Kontaktpersonen des Mordopfers und deckt durch hartnäckiges Nachfragen, darin dem unvergessenen Inspektor Columbo sehr ähnlich, die Muster auf, die den Femiziden, aber auch den Bequemlichkeiten und Ausflüchten von Einzelpersonen und Vertreter*innen gesellschaftlicher Institutionen, wie etwa Kirche und Justiz, zugrunde liegen. Seine unaufdringlich-freundliche und doch hartnäckige, auf den Punkt zielende Recherche setzt bei den Befragten allmählich einen Prozess des Nachdenkens in Gang.
- „72 Stunden. Eine Anklage“ ist ein spannendes Theaterstück, das trotz seines düsteren Hintergrunds nicht ganz auf Humor verzichtet. Es eignet sich auch sehr gut als Lesestück für Schulen. Die Uraufführung wird im Herbst 2022 in Bruneck/Süditrol stattfinden.
„Künstliche Intelligenz“ prägt bereits viele Bereiche unseres Lebens. Die Münchner Drehbuchautorin Anne-M. Keßel hat in ihrem Stück „Robin“ ein Szenario für das Jahr 2040 entworfen, in dem es ganz normal ist, dass Androiden erfolgreich in der Altenpflege eingesetzt werden. Sie sind auf das Wohl der Menschen programmiert, haben menschliche Namen und ein angenehmes, weibliches Äußeres.
Und doch ist es passiert: Ein Android namens Robin hat einen pflegebedürftigen Mann getötet. Der Fall kommt vor Gericht. Ist es ein Programmierfehler oder sind Künstliche Intelligenzen in der Lage, selbständige Entscheidungen zu treffen? Wie ist die Schuldfrage zu beurteilen? Was heißt überhaupt „zum Wohl“ des Menschen?
Sachverständige, Angehörige und eine ehemalige Pflegekraft treten als Zeugen auf. Staatsanwaltschaft und Verteidigung streiten leidenschaftlich für ihre gegensätzlichen Rechtsauffassungen. Der Prozess ist von starken Emotionen geprägt und wird von einer aufgebrachten Öffentlichkeit begleitet, das Urteil ist nicht leicht zu fällen … doch die eigentliche Überraschung kommt erst am Schluss.
- Anne-M. Keßel hat das Genre des Gerichtsdramas mit „Robin“ um einen interessanten Fall bereichert, der zum Nachdenken zwingt. Und zugleich ist ihr ein sehr unterhaltsames Theaterstück gelungen.
Seit 2011, dem Jahr des „arabischen Frühlings“ ist die Insel Lampedusa eine Station für Flüchtlinge, die über das Mittelmeer nach Europa kommen. Das Theaterstück des französischen Autors Gilles Boulan, „Lampedusa“, spielt genau in diesem Jahr.
Isis, eine junge Ägypterin, lebt mit ihrem französischen Mann in der Bretagne. Aufgewühlt verfolgt sie die Nachrichten aus ihrer Heimat. Sie weiß nicht, dass ihr Bruder Ouner sich in einem Boot auf den Weg nach Europa gemacht hat. Die Mutter der beiden fristet mit Souvenirverkäufen ihren Lebensunterhalt im Dorf am Nil und verzehrt sich vor Sehnsucht nach ihren Kindern.
Jede dieser privaten Lebensgeschichten handelt vom Elend des Exils und beleuchtet die teils bitteren Realitäten der okzidentalen und orientalischen Gegenwart. Momente voller Poesie, getragen vom mythologische Kosmos des alten Ägypten, kreuzen die Gedanken und Gespräche der Protagonisten.
- Gilles Boulan lebt in Nordfrankreich und schrieb neben zahlreichen Textadaptionen für die Bühne Kurzstücke für ein Wandertheater, das er viele Jahre lang begleitete. Mit „Lampedusa“ gelang ihm ein sinnliches, berührendes Theaterstück, das uns Menschen näher bringt, die eine Welt verloren haben.
Wir freuen uns über Ihr Interesse an diesen und anderen Theaterstücken, die Sie zur Hälfte des Inhalts auf unserer Website anlesen können. Auf Wunsch senden wir Ihnen die kompletten Texte über den Postweg.
Wenn Sie uns schreiben wollen, dann bitte nicht an diese Adresse sondern an: theater@dtver.de
Mit herzlichen Grüßen aus Weinheim
Gabriele Barth
Deutscher Theaterverlag