Januar 2020 - Fremde, Außenseiter, schräge Vögel - die Stücke von Karin Strauß und Harald Kislinger
Sehr geehrte Damen und Herren,
„Seine Gedanken sind wie gute Geschenke. Einmal ausgepackt, lassen sie einen nicht mehr los.“
„Herr Metitsch“, die Figur aus dem gleichnamigen Stück von Karin Strauß, hat die Münchner Theatergruppe „Lichtbühne“ und ihr Publikum 2017 so in Bann gezogen, dass die Inszenierung jetzt erneut in der Pasinger Fabrik zu sehen ist.
https://www.pasinger-fabrik.de/Veranstaltung/herr-metitsch/
Herr Metitsch hat sich seine eigene Welt erschaffen. Er kann nichts wegwerfen und hat doch ein ausgeklügeltes Ordnungssystem. Ein „Außenseiter“, der uns viel zu sagen hat. Man muss ihn nur zum Sprechen bringen.
Auch „Geburtstag“ von Karin Strauß, in der Uraufführung getanzt vom Ensemble Curtis & Co. aus Nürnberg, handelt von einem Außenseiter, einem Jungen, der sein Zimmer nicht mehr verlässt und von seiner Mutter mit Essen versorgt wird. Beide haben Angst - davor, dass sich nichts ändert und davor, dass sich alles ändert.
http://www.susanna-curtis.de/de/aktuelles/geburtstag-eine-hikikomori-story
Angst auf beiden Seiten spielt auch im dritten Stück von Karin Strauß eine Rolle (Co-Autor: Jafar Ismail.) In „Nacht“ begegnen sich ein jesidischer Geflüchteter und eine Furry-Anhängerin, ein wahrhaft schräger Vogel. Wir hören im Stück die Stimmen ihrer Schatten, die uns ihre Gedanken verraten. Ein zarter Text jenseits aller Tagesaktualität und doch mittendrin. (Frei zur Uraufführung.)
Die Stücke von Karin Strauß, die als freie Autorin in München lebt, sind poetisch und politisch. Sie handeln von liebenswerten Menschen, die es schwer haben. Wir würden uns freuen, wenn sie durch zahlreiche Inszenierungen sichtbar würden.
Um den in Wien lebenden Autor Harald Kislinger ist es zuletzt stiller geworden - zu Unrecht. In der 90ern galt er als Vertreter der „neuen österreichischen Welle“ um Werner Schwab und Marlene Streeruwitz, bei uns bekannt geworden durch sein Stück „Heimatstöhnen.“ Die Brachialpoetik von damals hat heute einer musikalisch-minimalistischen Struktur, einer sprachlichen Lakonie Platz gemacht, in der sich komplizierte Vorgänge verbergen. Die vertraute Erzählweise wird umgekehrt: „Jesus von Syrien“ beginnt mit dem Ende. Die Geschichte eines Waffenhändlers, der Buße tut, entfaltet sich multiperspektivisch bis hin zu den Anfängen.
Auch „Der Tag, als Romy Wanda starb“ weist eine verschachtelte Dramaturgie auf, die in die Vergangenheit zurückläuft. Dargestellt wird das Schicksal einer jungen Frau, die in neonazistische Kreise gerät und nicht mehr hinausfindet. Der brutale Sog, der Wanda verschlingt, wird sprachlich erfahrbar.
Beide Stücke sind aktuell, beide setzen auf die Erkenntnis durch sorgfältige Sprache. Läuterungsdramen, denen wir ebenfalls zahlreiche Inszenierungen wünschen.
(HINWEIS. Antworten Sie bitte NICHT unter dieser Emailadresse, nur unter theater@dtver.de)
Mit freundlichen Grüßen aus Weinheim
Deutscher Theaterverlag GmbH
Gabriele Barth